Prof. Dr. Christian Walter vom Lehrstuhl für öffentliches Recht und Völkerrecht an der LMU war der Referent der vierten Veranstaltung im Rahmen der Vortragsreihe, die an der FOS/BOS Fürstenfeldbruck vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts und im Rahmen von „Schule ohne Rassismus“ organisiert wurde.
Der auch dieses Mal gut besuchte Vortrag (ca. 250 Schüler und Kollegen) führte in die historisch-politische Lage und das Völkerrecht ein, wobei er dann damit verbundene zentrale Streitfragen aufgriff, wie z. B. die Verhältnismäßigkeit und die Legitimation des Krieges. Am Ende wurden Fragen beantwortet.
Das Völkerrecht ist ein komplexes System von Regeln und Normen, die die Beziehungen zwischen Staaten regeln, erklärte Prof. Christian Walter den Schülerinnen und Schülern der FOS/BOS. Völkerrecht basiere auf Verträgen, Gewohnheitsrecht und allgemeinen Prinzipien des Rechts. Es legt fest, welche Rechte und Pflichten Staaten haben und wie sie miteinander interagieren sollen, so der Lehrstuhlinhaber Walter. Die Regelungen durch das Völkerrecht sind jedoch durch die Souveränität der Staaten begrenzt, die auch heute noch als hohes Gut gelte. Deshalb habe im Ausgangspunkt jeder Staat das Recht, seine eigenen Angelegenheiten zu regeln und über sein Territorium zu bestimmen. Dies bedeutet, folgerte Prof. Walter, dass Staaten grundsätzlich nur dann gezwungen werden können, sich an bestimmte völkerrechtliche Normen zu halten, wenn sie diesen freiwillig zugestimmt haben. Allerdings gehöre es zu den wesentlichen Errungenschaften der Rechtsentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg, dass das Völkerrecht auch individuelle Rechte für Einzelpersonen begründen kann. So seien namentlich die Menschenrechte wichtiger Bestandteil des Völkerrechts geworden und gelten für alle Menschen, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Diese individuellen Rechte könnten durch internationale Gerichte wie den Internationalen Gerichtshof (IGH) geschützt werden, sofern die betroffenen Staaten dem zustimmen. Deutlich wurde: Insgesamt ist das Völkerrecht ein wichtiger Rahmen für die internationale Zusammenarbeit und den Schutz der Menschenrechte.
Das Selbstverteidigungsrecht eines Staates gehört nach Prof. Walter zu den ältesten völkerrechtlichen Grundlagen. Auch wenn Art. 51 der UN-Charta nicht explizit regelt, dass das Selbstverteidigungsrecht auch gegen nichtstaatliche Aggressoren, wie die Hamas, gilt, stellte Walter sich auf den Standpunkt, dass Israel sich nach Sinn und Zweck der Regelung gegen die Angriffe der Hamas verteidigen dürfe. Bei der legitimen Selbstverteidigung spiele aber die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen ebenso eine Rolle wie die Effektivität der notwendigen Gegenwehr. Das Völkerrecht gestehe dem Verteidiger also zu, dass dieser den Angreifer so intensiv bekämpft, bis ein neuer Angriff unmöglich wird.
Im Einzelnen kommen in so einer Lage wichtige Schlüsseldokumente zum Tragen, auf die Prof. Walter eingeht. Während die Genfer Konvention von 1864 sich noch auf die Regelung von Kriegshandlungen zwischen den Soldaten bezogen habe, sei nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges der Schutz der Zivilbevölkerung stärker in den Fokus getreten. Hier gilt, wie im Völkerrecht, dass zivile Personen nicht explizites Ziel eines Angriffes sein dürfen. Der Völkerrechtler Walter verwies in diesem Zusammenhang jedoch auf Artikel 19 der Genfer Konvention, in dem es einschränkend heißt: „Der den Zivilspitälern gebührende Schutz darf nur aufhören, wenn sie außerhalb ihrer humanitären Aufgaben zur Begehung von Handlungen verwendet werden, die den Feind schädigen. Immerhin darf ihnen der Schutz erst entzogen werden, nachdem eine Warnung, die in allen Fällen, soweit angängig, eine angemessene Frist setzt, unbeachtet geblieben ist.“ Der Jurist erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass die Hamas völkerrechtswidrig aus Krankenhäusern Militäraktionen geplant und auch durchgeführt habe und Israel im Gegenzug die Zivilbevölkerung gewarnt habe, bevor es die Terroreinheiten in den Krankenhäusern angegriffen hat. Mit ihrem Angriff auf die Zivilisten am 7. Oktober, dem militärischen Agieren aus Krankenhäusern und Kindergärten heraus, der Geiselnahme von israelischen Bürgern und dem Missbrauch der eigenen Bevölkerung als Schutzschild begehe die Hamas zweifelsohne eine Reihe von klaren Verstößen gegen das humane Völkerrecht, bestätigt Walter auf Nachfrage. Aber auch Israel scheint bei der Verhältnismäßigkeit der eigenen Selbstverteidigung an manchen Stellen mit Maßnahmen zu agieren, die mit dem Völkerrecht nicht zu vereinbaren sind.
Auf die Frage eines Schülers, ob Israel für einen Genozid verantwortlich gemacht werden könne, meinte Prof. Walter, dass der dazu notwendige Tatbestand der gezielten Zerstörung der Palästinenser als ethnische oder religiöse Gruppe seiner Auffassung nach nicht nachgewiesen werden könne. Genau diese Frage stehe aber im Zentrum des aktuell von Südafrika vor dem IGH angestrengten Verfahrens.
Letztlich kann das Völkerrecht nur den Rahmen bieten, um Kriegshandlungen zu beurteilen, aber auch tragfähige Lösungen hinzu einem friedlichen Nebeneinander, wie sie beispielsweise schon von 1993 bis 2005 zwischen Israel und Gaza bestanden, zu entwickeln. Entscheidend bleibt der politische Wille der Staaten, derartige Lösungen zu entwickeln und durchzusetzen.